An der FH Kärnten beschäftigen sich Forscher systematisch mit Energiebionik – ein international bislang einzigartiges Programm.
17.08.2013 | 18:13 | von Martin Kugler (Die Presse)
Mit dem Starten hat ein Albatros so seine Probleme – wie es humorvoll in Walt Disneys „Bernard und Bianca“ gezeigt wird, wo die beiden Mäuspolizisten per „Albatross Airlines“ zum Ort des Verbrechens reisen. Wenn der Vogel aber erst einmal in der Luft ist, dann ist seine Flugleistung unglaublich: Er kann tausende Kilometer ohne Zwischenlandung fliegen – stundenlang ohne auch nur einmal mit den Flügeln zu schlagen. Albatrosse beherrschen die Technik des „dynamischen Segelflugs“, sie nutzen den „Windgradienten“: Mit zunehmender Höhe steigt die Windgeschwindigkeit an – am Boden ist sie wegen der Reibung praktisch null, erst in einigen 100 Metern Höhe entspricht sie jener Geschwindigkeit, die sich aus der Differenz zwischen Hoch- und Tiefdruckzonen ergibt. Durch geschickte Flug- und Wendemanöver verwandeln Albatrosse Geschwindigkeitsunterschiede in Auftriebskräfte, um sich nach einer Wende zum richtigen Zeitpunkt wieder beschleunigen zu lassen usw.
Eine sehr sparsame Form des Reisens. Allerdings gibt es keinen Vorteil ohne Nachteil: Bei Windgeschwindigkeiten unter zwölf km/h kann ein Albatros nicht mehr abheben bzw. landen.
Die erstaunliche Energieeffizienz des Albatrosflugs hat es auch Forschern angetan: „Die Natur geht mit Energie anders um als wir Menschen“, lautet das Credo von Peter Piccottini. Er leitet den Master-Studiengang „Bionik/Biomimetics in Energy Systems“ an der FH Kärnten – ein international bislang einzigartiges Programm. „In der Energiebionik untersuchen wir die Energieumwandlung in lebenden Organismen: Welche Energiekonzepte verfolgt die Natur? Wie regelt sie ihren Energiehaushalt?“, erläutert Piccottini.
Der Albatros ist nur eines von vielen Beispielen. Ein anderes ist die Wasserleitung in Bäumen: Ohne Pumpen wird Wasser von den Wurzelspitzen bis in die Blattspitzen gefördert. Angetrieben wird der Prozess durch die Verdunstung von Wasser in den Blättern, in Folge wird Wasser in den Kapillaren der Leitbahnen im Holz nachgezogen – das Wasser steht dabei unter Zugspannung („tensiles Wasser“).
Niedrigenergie-Prozesse. „Die Natur kommt mit wenig Energie aus“, so Piccottini: Nerven arbeiten im Millivolt-Bereich, Stoffwechselprozesse laufen bei niedrigen Temperaturen ab, die entstehende Prozesswärme ist gering. Wir Menschen haben dagegen überall Hochenergie-Prozesse.
„Bei der Energiebionik geht es nicht darum, die Natur zu kopieren“, betont Piccottini. Vielmehr sollen aus dem Verständnis, wie die Natur bestimmte Aufgaben erledigt, Anregungen gewonnen werden. Wie und ob das technisch umgesetzt wird bzw. werden kann, ist eine andere Frage. Ein Beispiel dafür ist der „Mottenaugen-Effekt“: In den 1960-er Jahren wurde entdeckt, dass die Augen von Motten praktisch kein Licht reflektieren. Jede Reflexion bedeutet einen Lichtverlust, die Motten können ihre Lichtausbeute dadurch steigern und sehen in der Dunkelheit besser. Der Effekt beruht auf kleinsten Noppen auf der Oberfläche, durch die eine scharfe Grenze des Lichtbrechungsindex zwischen Augen und Luft vermieden wird. Technisch wurde dieses Prinzip bereits realisiert – etwa indem Strukturen kleiner als die Wellenlänge des Lichtes in eine Glasplatte geätzt werden. Dadurch ließe sich im Idealfall die Ausbeute einer Fotovoltaikanlage um sieben Prozent steigern. „Das Hauptproblem ist, dass solche Schichten nicht haltbar sind und z.B. durch die Luftverschmutzung verkleben.“ Hier müsse man sich also noch weitere Technologien „abschauen“ – denn die Natur hat solche Probleme in Jahrmillionen gelöst.
Die Ideenkiste Piccottinis ist prall gefüllt. Etwa eine Straßenbeleuchtung, die auf Bio-Lumineszenz beruht. Oder Kraftwerke, die die Energie von Wasserwirbeln nutzen. Oder Beschichtungen aus Wachs-Strukturen, die die Verdunstung regulieren und vor Überhitzung schützen. Bei solchen Projekten arbeiten Forscher und Studenten aus verschiedensten Bereichen (in Kooperation mit Kollegen von Unis, Joanneum Research oder AIT) zusammen. „Energiebionik erfordert eine breite Sicht“, sagt Piccottini. „Jede Einschränkung ist schädlich.“
Bionisches Haus. Eine Vision, die die Interdisziplinarität verdeutlicht: Piccottinis Team feilt an einem Konzept für ein bionisches Haus. Angedacht ist etwa, die Pumpen in Solaranlagen oder Wärmepumpen durch „tensile“ Wasser-Technologien zu ersetzen, den Windgradienten zur Belüftung und Klimatisierung zu nutzen oder natürliche Beschichtungen gegen Pilzbefall einzubauen. Schlussendlich soll das Haus auch in seine Umgebung eingebunden sein. „Wie in der Natur soll Energie aus der Umgebung bezogen werden und Überschüsse wieder an das System abgegeben werden.“
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.08.2013 So effizient wie die Natur )